Ende November verlor die Kampfkunstwelt einen Visionär der besonderen Art. Großmeister Kernspecht prägte ganze Kampfkunstgenerationen.

„Begrenzt ist das Leben, doch unendlich die Erinnerung.“ (unbekannter Autor)

Mein SiFu („väterlicher Lehrer“)
Großmeister Prof. Dr. Keith Kernspecht
– der Vater des WingTsun in Europa –
ist von uns gegangen. 🕯️😢

Völlig plötzlich und unerwartet verstarb mein SiFu Ende November 2024 und dieser traurige Umstand stellte Teile der Kampfkunstwelt auf den Kopf. Denn nicht nur EWTO-Mitglieder bekundeten ihr Entsetzen und tiefe Trauer, sondern auch sonst eher konkurrierende Kampflkünstler – auch solche, die sich sonst bisher extrem kritisch gegenüber SiFu verlautbart hatten. Irgendwie schien die Situation unreal. Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass SiFu – ob geliebt oder gehasst – nicht mehr da sein sollte.

Denn SiFu war ein (oder vielleicht DER) Jahrhundert-Kampfkünstler. Hat er doch die bis dahin nicht sehr bekannte und vor allem nicht sehr verbreitete Kampfkunst WingTsun (das ist der Markenstil von GM Leung Ting) in Europa etabliert, sowie damit einhergehend die Kampfkunstfamilie Wing Chun mit all ihren Ausprägungen bekannt gemacht und zu weltweiter Anerkennung und Verbreitung verholfen.

Er war ständig daran bemüht, das WingTsun noch besser zu verstehen und in der Unterrichtsweise noch effektiver zu gestalten. Das Gute war ihm Feind, weil er das Bessere erstrebte. Und seine ganz spezielle individuelle „Handschrift“ prägte die unter uns, die ihm folgten und von ihm lernen durften.

Abgesehen von seiner unfassbaren körperlichen Schnelligkeit (wie er sagte: ein angeborenes Talent) bannte er uns mit einem unglaublichen Charisma, einer unnachahmlichen Mischung aus Humor, Sprachgewandtheit und Faszination. Er war energetisch, motivierte und als Visionär verstand er es, uns hungrig nach dem noch Besseren zu machen.

Wer und was mein SiFu – Großmeister Keith Kernspecht – für mich war

Wie ich als ambitionierter jugendlicher Kampfsportler überhaupt zum WingTsun und ferner zu GM Kernspecht fand, ist dem nebenstehenden aus (m)einem Facebook-Post entnommenen und teils aktualisierten Facebook-Post aus Anfang 2022 zu entnehmen.

Den ersten realen Kontakt hatte ich April 1990 auf einem Prüfungslehrgang in Frankfurt, als ich dort von SiFu zu meinen 2. Schülergrad geprüft wurde. Er nahm sich jeden persönlich vor und obwohl ich bereits sehr gute und schnelle Kampfsportler als Lehrer, Meister und Großmeister erlebt hatte, war ich überrascht, wie schnell ich von SiFu beim LatSao getroffen wurde. Er war kontrolliert, aber es war so schnell, dass ich noch nicht mal den Ansatz erkennen konnte, wenn er zuschlug. Das konnte er immer gut: einem das Gefühl geben, dass man nicht den Hauch einer Chance gegen ihn hätte. Außerdem war er sehr witzig – genauer genommen ironisch auf hohem Sprachniveau. 

 

Vom Zweikampf Revisited

Wie Sifu Jan-Holger Nahlers erste Eindrücke von GM Kernspecht sein Leben nachhaltig verändern sollten.

Wie ich als ambitionierter jugendlicher Kampfsportler überhaupt zum WingTsun und ferner zu GM Kernspecht fand, ist dem nebenstehenden aus (m)einem Facebook-Post entnommenen und teils aktualisierten Facebook-Post aus Anfang 2022 zu entnehmen.

Den ersten realen Kontakt hatte ich April 1990 auf einem Prüfungslehrgang in Frankfurt, als ich dort von SiFu zu meinen 2. Schülergrad geprüft wurde. Er nahm sich jeden persönlich vor und obwohl ich bereits sehr gute und schnelle Kampfsportler als Lehrer, Meister und Großmeister erlebt hatte, war ich überrascht, wie schnell ich von SiFu beim LatSao getroffen wurde. Er war kontrolliert, aber es war so schnell, dass ich noch nicht mal den Ansatz erkennen konnte, wenn er zuschlug. Das konnte er immer gut: einem das Gefühl geben, dass man nicht den Hauch einer Chance gegen ihn hätte. Außerdem war er sehr witzig – genauer genommen ironisch auf hohem Sprachniveau. 

 

Vom Zweikampf Revisited

Wie Sifu Jan-Holger Nahlers erste Eindrücke von GM Kernspecht sein Leben nachhaltig verändern sollten.

Lockmittel Intellektualität

Wenn Schüler und Lehrer in der Pause Fragen stellten, die er manchmal langweilig fand, beantwortete er diese teils mit sehr ernster Miene und oft merkte man erst Momente später: „hey, der hat mich gerade voll verschaukelt!“ bzw. ich glaube, einige haben es bis heute noch nicht gemerkt.

Neben den (siehe Vom Zweikampf) klar herausgestellten Vorteilen der Kampfkunst WingTsun, die zielführende Vorbereitung zur Verteidigungsfähigkeit im Ernstfall betreffend, war es wohl der intellektuelle Ansatz SiFus, der mich besonders eingefangen hatte. Er sparte nämlich nicht daran, sich als belesen, rhethorisch brilliant und intelligent zu präsentieren. Waren die Vorbilder und Trainer und auch der überwiegende Teil der Mittrainierenden meiner bis dahin betriebenen Kampfkunst eher der Arbeiterklasse zuzuordnen (das soll wirklich nicht despektierlich klingen, denn ich trage auch heute noch große Dankbarkeit in meinem Herzen), was mich als Gymnasiast und zukünftigen Studenten doch schon öfter mal etwas ausgrenzte, so waren sowohl mein SiHing vor Ort, wie auch mein SiFu neue Vorbilder, eine Kampfkunst auch auf höherem intellektuellen Niveau zu lehren. Das schmeichelt meinem Ego und ich war irre stolz, so einen goßartigen und berühmten SiFu zu haben.

Selbstbewusste Außendarstellung

Viele Freunde aus anderen Kampfkünsten allerdings störten sich an der Selbstdarstellung, auf die sie durch zahlreiche Veröffentlichungen in den gängigen Kampfkunst-Gazetten monatlich stießen. Sie störten sich an der so empfundenen Arroganz, dass er sich wie der Beste darstellte. Dabei hat er dies so nie formuliert – faktisch kann man ihm das so nicht vorwerfen. Er stellte die Kampfkunst WingTsun und deren Prinzipien als „wissenschaftlich“ und optimert dar, brachte einige durch ihr Kampfkraft sehr berüchtigte Schüler hervor (einer davon wurde sogar als „der gefährlichste Straßenkämpfer der Welt“ promotet) und wie dann der sein muss, von dem diese Fighter lernen, … das konnte man sich dann selbst zusammenreimen und sich daran stören, wenn man denn so wollte.

Für jemanden wie mich, der seit seiner Kindheit das ein oder andere Defizit in Sachen Selbstbewusstsein und Selbstwert durchlebte, war es jedoch großartig, auf der Seite der ganz Tollen zu stehen. War ja quasi wissenschaftlich bestätigt, dass man dann auch irgendwie toll ist, … zumindest oberflächlich betrachtet. 😉

Und nichts ließ mich über fast 2 Jahrzehnte zweifeln an SiFus Äußerung: „Ich kenne kein wirksameres waffenloses Selbstverteidigungssystem, als das von GM Leung Ting“

Hierarchie & Struktur

Und SiFu lebte eine strikte traditionelle Hierarchie vor, in der jeder seinen ihm verdienten Platz hatte. Das war für jemanden wie mich, der seinen Vater (von dem man als Junge orientiert, wie es ist, ein Mann zu sein) recht früh verloren hatte und der weder Wehr- noch Ersatzdienst leisten brauchte, eine feste und mutmaßlich faire Struktur, an der ich mich geht orientieren konnte.

Anfang 1995 bestand Sifu Jan-Holger die praktische Prüfung zum 1. Technikergrad / 1. Lehrergrad bei Sifu Kernspecht in Kiel. Bestätigung erfolgte auf einem Abreißzettel, Urkunden gab's später.

Prüfung zum 1. Techniker-Grad

Ein besonderer Moment war es, als ich im Januar 1995 nach Kiel auf einen Ausbilder-Lehrgang fuhr, um dort meinen 1. Lehrergad (Techniker-Grad) zu absolvieren. Da zu diesem Event nur eine sehr überschaubar kleine Gruppe teilnahm, hatte er – im Gegensatz zu den sonst massig besuchten Techniker-Lehrgängen – ausgiebig Zeit, mich mehrere Stunden im ChiSao und sonstigen Programminhalten zu testen und das besonders gut gelaunt. Heute gibt es „Prüfungs-Laufzettel“ – damals noch nicht. So schrieb er mir das Ergebnis der praktischen Prüfung auf einen Notizzettel, den ich dann nachfolgend mit meiner schriftlichen Ausarbeitung (theoretischer Prüfungsteil) ans EWTO-Headquater einschicken konnte.

Ein ganz anderer Level

Das war vielleicht die aufregendste Zeit aber wenige Jahre später musste ich feststellen, dass – egal wie gut man sich vorbereitet und wie fit man sich fühlte – SiFu einen bei weiteren TG-Prüfungen ziemlich auf den Boden der Tatsachen zurückholte… was manchmal härter und schmerzvoller, als mir lieb war.

Exklusiver Privatunterricht

Ganz anders war es 1999 oder 2000, als ich die bis dahin äußerst seltene Gelegenheit hatte, mit meinen nordrheinwestpfälischen Trainingsfreunden Thommy Böhlig und Guido Wedekind zu SiFu auf Schloss Langenzell zu einem derzeit hochexklusiven Privat-Unterricht zu fahren. Als er fragte, was wir denn machen wollten … etwa fortgeschrittene BiuTze- oder Holzpuppen-Techniken, entgegeneten wie ihm zu seiner offensichtlichen Verwunderung, dass wir gerne PoonSao (eher eine Schüler-Technik) von ihm noch einmal richtig beigebracht bekommen wollen. Plötzlich war er in seinem Element und verzauberte uns mit bis dahin nicht gekannten Ideen und Ansätzen dieser Technik.

Diplomat und Schlitzohr

Warum erwähne ich, dass dies eine exklusive Gelegenheit war? Weil ich zu dieser Zeit mitbekommen hatte, dass -wenn überhaupt – nur besonders vertraute Personen in den Genuss von Privatunterricht bei ihm kamen. Ich war vor Ort, als ich für meinen SiHing aufgrund einer Graduierung eine Privatstunde bei SiFu buchen wollte (mehrere Schüler hatten zusammengelegt). Es war noch ein nicht ganz unbekannter Lehrer vor mir, der nach einem Termin anfragte. SiFu nahm uns mit und holte seinen Zeitplaner aus dem Kofferraum und blätterte mehrer Monate durch und wir konnten beide sehen, dass sein Filofx fast lückenlos mit Terminen gefüllt war. Andächtig blätterte er mehrere Monate durch und meinte dann zu der anderen Person, er möge doch in einem halben Jahr einfach noch mal im Headoffice nach einem möglichen Termin anfragen und die Person trottelte etwas enttäuscht, aber voller Verständnis vondannen. Ich wollte mich auch gerade wieder wegdrehen, da fragte er mich, was ich denn überhaupt wolle. Als ich sagte, dass wir gerne einen Termin für unseren Sifu Heiko Martin hätten, ich aber ja grad gesehen hatte, dass dies aussichtslos sei, meinte er zu meiner vollen Überraschung: „Ach, für Heiko?! Kein Problem! Lass mich grad meinen richtigen Kalender holen.“ Und siehe da, nach wenigen Wochen war ein Termin frei! smile

Stark ist nicht clever

Und bei der praktischen Prüfung zum 3. Lehrergrad musste ich zusehen, wie mehrere sehr kampfstarke Schüler durch SiFu technisch degradiert wurden, weil diese zu ungestüm gegen ihn vorgingen. Ich erinnere mich daran, wie ich meinen Prüfungszettel dezent wieder einstecken und mich verdrücken wollte. SiFu bemerkte dies, während er gerade jemanden praktisch sein Unvermögen vor Augen führte und forderte mich auf, dazubleiben und mich der Prüfung zu stellen. Irgendwas machte ich anders (und wohl mehr so, wie er es technisch verlangte) und sein bis dahin strenges Gemüt entspannte sich und er spielte mir mir sichtlich vergnügt. Auch ich wurde mir da meiner Endlichkeit bewusst, aber er tat es in erträglicher und für mich sehr produktiv lehrreicher Weise.

Dieser Text wird in Kürze vervollständigt …

EWTO-Akademie Koblenz | WingTsun-Kampfkunst & Selbstverteidigung | Sifu Jan-Holger Nahler